Ludwig Tieck

1773 - 1853

... Manche meinen viel zu thun, wenn sie Reime häufen und das Lied auf zweien oder dreien Füßen fortlaufen lassen, weil es im Deutschen schwer sein soll, es in dieser Manier aus der Stelle zu bringen; oder meinen ein Sonett zu verfertigen, wenn ihre Reimerei aus vierzehn Versen besteht, wo der Schluß des Gedichts oft schon hinter dem fünften oder sechsten Verse ist; diese letztern sollten Bürgers und Schlegels Sonette studiren, die, einige alte deutsche abgerechnet, vielleicht die einzigen sind, die wir in unserer Sprache besitzen. Es wäre zu wünschen, daß uns ein Kritiker von feinem Ohr und reizbarem Sinn irgwend einmal aus Goethe’s Sylbenmaßen, aus spanischen und italienischen Dichtern eine eigene Theorie entwickelte, die sich gewiß aus ihnen entwerfen läßt. Oft ist anscheinende Willkürlichkeit nichts als ein strenger Gehorsam gegen ein innres Gesetz, das bis dahin noch nicht ausgesprochen ist, oder sich auch vielleicht nicht aussprechen läßt; ...