L.                                            Der deutsche Sonettismus

aus: Der Freimütige

Berlin 1803                         

Daß die neue Formen- und Erz-Poesie dem Sonett eine so große Vorliebe gewidmet hat, kommt bekanntlich zunächst daher, weil die Italiäner und Spanier viel Sonette gedichtet haben, und die poetische Versüdlichung des Nordens eine von unsern Lieblingsmarotten ist. Übrigens hat das Klingende und Begränzte dieser Dichtungsform an sich etwas, das den falschen Begriffen der neuen Schule besonders zusagt, und sie angenehm in dieselben einwiegt. Den Schwung verachtend, kleidet man mystisch-scheinende, schiefe, schwankende Halb-Gedanken und Halb-Bilder mit großer Leichtigkeit aus matter Prosa in vierzehn lahme Verse um: man hält sich die Schelle ans Ohr, und freut sich der reinen Poesie. Mit den Sonetten im Drama geht es eben so zu. Die Spanischen Schauspiele sind voll von Sonetten, und es ist eine unleugbare Wahrheit, daß ein Deutsches Schauspiel mit Sonetten recht Spanisch aussieht. Will man sich von allem, was man als deutscher Dramatiker des neunzehnten Jahrhunderts empfinden und denken könnte, losmachen, so schreibe man Sonette hinein:

man wird zwar dadurch sein Lebtage nicht zum Spanischen Dramatiker des siebzehnten Säkulums; man hat aber einen negativen Zweck auf das vollkommenste erreicht.

Aus der Zeitung für die elegante Welt erhellt, daß auch Göthe in seiner natürlichen Tochter dem spanisierenden Sonettismus gehuldigt hat, und das Sonett in diesem Schauspiele, welches das gedachte Blatt mitteilt, ist wahrlich so schlecht als irgend eins der neueren Zeiten, woraus allerdings hinwiederum folgt, daß die schlechtesten Sonette der neueren Zeit so gut sind, als jenes von Göthe, welches zusammengenommen ein richtiges und erschöpfendes Resultat über den Werth der heutigen poetischen Poesie geben kann.

Zwar ist Göthe’ns Sonett nur aus der Erinnrung mitgetheilt, und man könnte noch hoffen, daß es sich einst, wenn das ganze Stück von dem Verfasser herausgegeben seyn wird, anders ausnehmen werde, so wie es in der Braut von Messina keineswegs der Chor ist, der da sagt:

 

In’s reine Auge hab’ ich ihr geschaut,

In’s Herz geblickt, da war sie meine Braut –

 

wie zum Schrecken des Publikums, welches glauben mußte, daß die Braut von Messina des Chores Braut wäre, kurz vor der Erscheinung dieses Trauerspiels im Druck, eine Zeitung, ebenfalls aus der Erinnerung, es mitgetheilt hatte. Da aber die Zeit. f. d. eleg. Welt es dem Freimüthigen übel genommen hat, daß er ein Paar Stellen aus der natürlichen Tochter nicht wörtlich richtig angeführt, so muß man doch voraussetzen, daß wirklich Eugeniens Vater mit einem festen Throne nicht vorlieb nimmt, sondern deren eine ganze Menge hat, daß ihre treue Brust, während ein holder Born der Gnaden strömt, hier verweilen und sich an der Liebe Majestät fassen will, dennoch aber, weil eben ihr Ganzes an einem zarten Faden hängt, unaufhaltsam eilen muß, um das Leben zu lassen – kurz, daß dieses Sonett, welches die Situation beschreiben soll, daß die natürliche Tochter eines Fürsten am Hofe ihres Vaters zu erscheinen denkt, nichts anders ist, als was ein Sonett in einem Deutschen Schauspiel zu seyn vielleicht nicht vermeiden kann: leerer, steifer Wortklang, wodurch man jede eigenthümliche Kraft der dramatischen Poesie einem kalten, nebelhaften, dem südlichen Leben nördlich nachäffenden Fantom aufopfert.