Joh. Chr. Gottsched

 

I.                   Aus: Versuch einer Critischen Dichtkunst. 3. Auflage

1742

 

§18. Ich komme auf das Sonnet, welches unter den Sinngedichten keinen geringen Platz verdienet, weil es so schwer zu machen ist. Es ist in der That gerade das Widerspiel des Madrigals. Alles was dort frey war, ist hier gebunden; die Zahl und Länge der Zeilen, die Anzahl und Wechselung der Reime, die Stellen, wo sich der Verstand allezeit schließen muß, u. s. w. Es muß gerade aus vierzehn Zeilen bestehen, die alle von einer Länge sind, und nach dem Verstande in vier Abschnitte abgetheilet seyn. Zuerst müssen vier und vier, hernach aber drey und drey Zeilen zusammen einen Sinn haben. In der beyden ersten Stücken müssen vier männliche und vier weibliche Reime von einerley Art so vermischt werden, daß die erste, die vierte, die fünfte und achte Zeile, und hergegen die andre und dritte und sechste und siebente Zeile sich wiederum untereinander reimen. Der Schluß davon muß auch etwas sonderbares in sich fassen. Unsere alten Poeten, als Opitz, Flemming, Schoch u. a. m. haben sehr viel auf diese Art der Gedichte gehalten, und deren eine große Menge gemacht. Ich will ein paar Exempel aus unserem Flemming hersetzen, von dem wir ganzer vier bücher Sonnette aufzuweisen haben. Das erste fängt männlich an, und steht auf der 651 Seite seiner Gedichte; es ist an ein Frauenzimmer, die er Svavia nennt, gerichtet:

 

               è Sonnet

 

Das andere hebt mit einem weiblichen Reime an, und steht auf der 576sten Seite:

 

               è Sonett

 

§19. So wie diese Muster aussehen, so müssen sie alle aussehen; außer daß die Zeilen auch aus fünf- ja vierfüßigen Versen bestehen können. Allein zehn oder elfzeilichte Gedichte von beliebiger Abwechslung der Zeilen Sonnette zu heißen, das ist ungereimt, und wenn es der größte Poet thäte. Boileau dichtet dieser vielen Schwierigkeiten halber, Apollo habe diese Regeln des Sonnets den Dichtern zur Strafe ausgesonnen.

 

               On dit à ce propos qu’un jour ce Dieu bizarre

Voulant pousser à bout tous les Rimeurs Francois,

Inventa du Sonnet les rigoureuses Loix ;

Voulût qu’en deux Quartrains, de mesure pareille,

La Rime avec deux sons frappât huitfoits l’oreille,

Et qu’ ensuite six Vers artistwement rangez,

Fussent en deux Tercets par le sens partagez.

Sur tout de ce Poeme il bannit la Licence,

Lui même en mesura le nombre & la Cadence,

Defendit qu’un Vers foible y pût jamais entrer.

ni qu’un mot deja mis osoit s’y remontrer.

Du reste il l’enrichit d’une beauté supreme.

 

Meinestheils glaube ich, daß eher ein eigensinniger Reimschmidt, als Apollo, die Regeln des Sonnets ausgedacht : weil diesem gewiß an solchem gezwungenen Schellenklange nichts gelegen ist. Am wenigsten glaube ichs, was Boileau hinzugesetzt.

 

               Un sonnet sans defaut vaut seul un long Poeme.

 

Es ist bald so, als wenn ich sagte, ein künstlich gebautes Kartenhaus wäre eben so viel werth, als ein großer Palast. Doch man kann hier jedem Liebhaber seinen Geschmack lassen. Wenn Horaz einen Poeten mit einem Seiltänzer vergleicht, so kann man die Meister der Sonette mit einem solchen vergleichen, der mit geschlossenen Beinen tanzet. Es ist wahr, daß dieses künstlicher ist; wenn er gleichwohl Sprünge genug machet und keine Fehltritte thut. Aber verlohnt sichs wohl der Mühe, der gesunden Vernunft solche Fessel anzulegen, und um eines einzigen guten Sonnetts halber, welches von ungefähr einem Dichter geräth, viel hundert schlechte geduldig durchzulesen?

 

 

 

II.                Aus: Versuch einer Critischen Dichtkunst. 4. Auflage

1751

 

§6. Ich schreite zu den Sonnetten. Auch diese sind eine Erfindung der Provinzialdichter, und von diesen nach Wälschland, von da aber zu uns, und nach Frankreich gekommen. Auch dieses zähle4 ich zu den Singgedichten, wozu es eigentlich erfunden worden, ungeachtet unsere poetischen Anweisungen bisher kein Wort davon gewußt. Ich habe aber die Italiener auf meiner Seite; die es einhällig gestehen: und selbst der deutsche Namen eines Klinggedichtes, wie es die Unsrigen zu geben pflegen, hätte sie darauf bringen können; daß es zum Klingen und Singen gemachet worden. Aus diesem Begriffe folgen nun auch die Regeln des Sonnetts, welche sonst so willkührlich aussehen, und so schwer zu beobachten sins, daß Boileau, nicht ohne Wahrscheinlichkeit dichtet: Apollo habe dasselbe bloß den Poeten zur Plage ausgedacht:

 

               On dit à ce propos qu’un jour ce Dieu bizarre

Voulant pousser à bout tous les Rimeurs Francois,

Inventa du Sonnet les rigoureuses Loix ;

Voulût qu’en deux Quartrains, de mesure pareille,

La Rime avec deux sons frappât huitfoits l’oreille,

Et qu’ ensuite six Vers artistwement rangez,

Fussent en deux Tercets par le sens partagez.

Sur tout de ce Poeme il bannit la Licence,

Lui même en mesura le nombre & la Cadence,

Defendit qu’un Vers foible y pût jamais entrer.

ni qu’un mot deja mis osoit s’y remontrer.

Du reste il l’enrichit d’une beauté supreme.

 

So wenig Licht nun diese Beschreibung einem, der es noch nicht kennet, vom Sonnette geben wird : so wenig ist es auch gegründet, wenn er hinzusetzet :

 

Un sonnet sans defaut vaut seul un long Poeme.

 

§7. Crescimbeni hat in seiner Istoria, in ganzen sechs Capiteln bloß vom Sonnette gehandelt, und alle Kleinigkeiten und Veränderungen, die dasselbe betroffen haben, mit Sorgfalt angeführet. Es erhellet aber kürzlich so viel daraus, daß weder die Erfinder desselben in der Provence, noch die ältesten Italiener, als Dantes, anfänglich diese Art Lieder so gar genau in gewisse Regeln eingeschränket. Weder die Zahl noch Länge der Zeilen, noch die Abwechslung der Reime war darzumal recht bestimmet, bis Petrarch durch seine verliebten Lieder auf die Laura, die fast lauter Sonnette waren, dem Dinge seine rechte Ordnung gab. Vermuthlich hat er ein paar beliebte Melodien auf die ersten seiner Sonnette gehabt; denen zu Gefallen er hernach alle übrigen gemachet. Ihm aber sind hernach alle übrige Dichter mehrentheils gefolget. Es ist also schon der Mühe werth, ein Muster von seiner Arbeit anzuführen; wozu ich gleich das erste nehmen will, das gleichsam eine Vorrede zu allen übrigen ist:

 

               Voi, ch’ascoltate in Rime sparsa in Suono,

Di quei Sospiri, onde io nudriva il Cuore,

In sul mio primo giovenil Errore,

Quando era in parte altre’huom, da qual ch’io sono.

 

Del vario Stile in ch’io plango, & ragiono,

Fra le vane speranze, e’l van dolore,

Ove sia, chi per prova intenta Amore,

Spero trovar Pietà, non che Perdono.

 

Man ben veggi’hor, si come al popol tutto,

Favola fui gran tempo; onde sovente,

Di me medesmo meco mi vergogno:

 

Et del mio vaneggiar vergogna e’l frutto,

E’l pentirsi, e’l conoscer chiaramente,

Che quanto piace al Mondo è brevo sogno.

 

§8. Aus diesem Exempel nun können wir die Regeln eines rechten Sonettes abnehmen. Es besteht 1) aus vierzehn Zeilen, und darf weder mehr, noch weniger haben. 2) Diese Zeilen müssen alle gleich lang seyn; zumal im Wälschen, wo man lauter weibliche Reime machet. Im Deutschen hergegen, kann es seyn, daß die, mit männlichen Reimen, eine Sylbe weniger bekommen. 3) Müssen sonderlich die langen Verse dazu genommen werden: welches bey den Wälschen die eilfsylbigten, bey uns und den Franzosen aber die alexandrinischen sind. 4) Müssen dieselben vierzehn Zeilen, richtig in vier Abschnitte eingetheilet werden; davon die ersten beyden, jeder vier, die beyden letzten aber, jeder drey Zeilen bekommen. 5) Müssen die zwo ersten Abschnitte einander in den Reimen vollkommen ähnlich seyn, ja in acht Zeilen nicht mehr als zwey Reime haben: so daß sich einmal der erste, vierte, fünfte und achte, sodann aber der zweyte, dritte, sechste und siebente mit einander reimen. Endlich 6) müssen die drey und drey im Schlusse sich wieder zusammen reimen; doch so, daß man einige mehrere Freyheit dabey hat. Indessen lehret mich auch hier das Beispiel des Petrarcha, daß auch diese beyden Dreylinge auf einerley Art ausfallen müssen, damit man sie auf einerley Melodie singen könne. Denn kurz und gut: die zwey ersten Vierlinge müssen nach der ersten Hälfte der Singweise, die, wie gewöhnlich, wiederholet wird; die zwey letzten Dreylinge aber nach der andern Hälfte der Melodie, die gleihfalls wiederholt wird, gesungen werden können. Dieß ist der Schlüssel zu allen obigen Regeln.

 

§9. Nach diesen Regeln nun haben sich unsere deutschen Dichter auch gerichtet; sonderlich die Alten, die eine große Menge von Sonnetten gemachet haben, ohne daß vielleicht ein einziges jemals gesungen worden. Opitz, Flemming, Mühlpfort, Sieber, Gryph, Kienè u. a. m. haben ganze Bücher voll geschrieben; davon ich ein paar zu Mustern hersetzen muß. denn da wir im Deutschen männliche und weibliche Reime zu vermischen pflegen; so entstehen auch zweyerley Arten bey uns, die sich bald mit einem weiblichen, bald mit einem männlichen Reime anfangen. Sie brauchen auch alle die sechsfüßigen Jamben, anstatt der eilfsylbigten der Italiener. Ich bleibe bey Flemmingen, und dies erste ist dem petrarchischen vollkommen ähnlich:

 

               è Sonett

 

Dieses Sonnet hat nur einen Fehler: daß nämlich, bey der dritten Zeile der zweyten Hälfte, der völlige Sinn nicht aus ist, sondern sich erst mit der folgenden endet. Dieses würde im Singen einen großen Uebelstand machen; weil beym Schlusse der Melodie, der verstand noch nicht befriedigt wäre; welches doch von rechtswegen seyn soll, wie Petrarcha es auch sehr wohl beobachtet hat.

 

§10. So gern ich noch eins, das ohne Fehler ist, finden will, so schwer ist mirs. Denn bald schließt der Verstand nicht mit der vierten, bald nicht mit der achten, bald nicht mit der eilften Zeile. Bald sind die letzten zwey Dreylinge, an Ordnung der Reime einander nicht gleich, u. s. w. Ich will also noch eins von eilfsylbigten Versen aus Flemmingen nehmen, ob es gleich auch von einer weiblichen Zeile anfängt. Es ist das XX. des andern Buches.

 

               è Sonett

 

Dieses wäre nun wohl so ziemlich zur Musik bequem: außer, daß der Sinn aus der zweyten Zeile, bis in die dritte geschleppet wird; welches im Singwen übel klappen würde. Ueberhaupt kömmt es bloß daher, daß unter vielen hundert Sonnettten, kaum ein vollkommenes anzutreffen ist, daß die Poeten es nicht gewußt, daß ein Sonnet zum Singen gemachet werden müsse. Da wir sie aber bey uns niemals singen: so sehe ich gar nicht ab, warum ein Poet sich quälen soll, einem solchen Zwange ein Gnügen zu thun, da man viel leichtere Versarten hat, die eben so angenehm sind.

 

§11. Ehe ich aufs Rondeau, oder das Ringelgedicht komme, muß ich noch anmerken, daß Mühlpfort auch in vierfüßigen Versen ein Sonnet gemachet. Es ist gleich das zweyte unter seinen Sonnetten; und würde selbst durch die Beyspiele der Wälschen, zu rechtfertigen seyn: wenn es nur durchgehens sich ähnlich, und in den letzten sechs Zeilen nicht fehlerhaft wäre. Die ersten acht Zeilen sind nämlich allen Regeln gemäß und lauten also:

 

               Abendgebet          

 

Das Licht vergeht, die Nacht bricht an,

Verzeihe Gott! die schweren Sünden;

Die mich, als wie mit Stricken binden,

Daß ich nicht vor dich treten kann.

 

Ich habe leider deine Bahn

Der Heiligkeit nicht können finden:

Weil ich stets auf den Wollustgründen,

Bin hangen blieben mit dem Kahn.

 

                                                               Allein nun kömmt das falsche:

 

Ein Irrlicht hat mich so verführt,

Das mir die Welt hat aufgestecket,

Ich habe nie die Lust gespürt,

Bis daß ich mich mit Koth beflecket.

Gedenke nicht, o Herr! der Sünden meiner Jugend,

Ich wende mich hinfort zur Frömmigkeit und Tugend.

 

Hier sieht ein jeder, daß dich drey und drey Zeiklen unmöglich nach derselben zweytwen Hälfte einer Melodie würden singen lassen. noch viel fehlerhafter sind sie sogenannten Sonnette, die König bey seiner Ausgabe von Kanitzens Gedichten hin und wieder eingeflicket: denn er hat weder alle diese Regeln, noch die allergemeinste und leichteste, daß ein Sonnet 14 Zeilen haben muß, beobachtet. Andere wunderliche Veränderungen der Sonnette, entweder durchgehens mit eynerley, oder ohne alle Reime, deren Omeis in seiner Dichtkunst gedenket, übergehe ich mit Fleiß; weil sie billig in keine Betrachtung kommen.

 

 

 

 

III.             Aus: Handlexicon oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste

1760